Die fehlenden Veränderungen im Schulsystem

Das Schulsystem bedarf massiver Veränderungen:
Es fehlen bereits jetzt tausende Lehrkräfte und diese Situation wird in den nächsten Jahren immer schlimmer werden. Bereits heute ist dieser Mangel überall spürbar, in einigen Regionen und Schulformen hat er bereits heute massive Auswirkungen auf die Bildungslandschaft. Das Schulsystem entlässt zu viele Jugendliche ohne einen Abschluss und selbst unter denen mit einem Abschluss finden sich zu viele, die wesentliche Grundkompetenzen unzureichend beherrschen und anwenden können. Die Zahl der funktionalen Analphabeten ist einer unter vielen erschreckenden Indikatoren. Zahlreiche Studien und internationale Vergleichstests zeugen hiervon.

Allen – oder zumindest vielen – Beteiligten auf allen Ebenen ist klar: das System bedarf massiver Veränderungen und Anpassungen, um zukunftsfähig zu bleiben – und doch passiert viel zu wenig viel zu langsam.

Dabei müsste man das Rad nicht einmal neu erfinden. Es gibt international zahlreiche Vorbilder, die belegen, wie es besser funktionieren kann, aber auch in Deutschland selbst belegen einige Schulen, dass es alternative Wege gibt, die zu besseren Ergebnissen führen.

Warum also verändert sich das Gesamtsystem kaum und wenn Veränderungen stattfinden, warum geschehen diese meist nicht aufgrund sondern trotz des Systems?

Die Antwort darauf ist vielschichtig und komplex, aber ich will einige Aspekte benennen, die aus meiner Sicht eine Rolle spielen:

  • Es kommen nur diejenigen in Entscheidungspositionen, die innerhalb des Bildungssystems erfolgreich sind. Ein Abitur und ein Studium sind die Mindestvoraussetzungen – die allein aber auch nicht genügen – um innerhalb des Bildungssystems in die Positionen zu kommen, von denen aus das System verändert werden könnte. Das ist natürlich nachvollziehbar, verhindert aber einen veränderten Blick auf systematische Fragen. Gerade die Perspektive derjenigen, die in und am System scheitern wäre wichtig, um das System selbst so umzubauen, dass alle Kinder erreicht werden. Wir dürfen es uns nicht leisten, dass Kinder an den Minimalanforderungen für eine gesellschaftliche Teilhabe im 21. Jahrhundert scheitern und wenn dies heute (viel zu häufig) passiert, dann muss daraus automatisch ein Auftrag erwachsen. Gründe für das Scheitern müssen evaluiert und das System muss mit den Stimmen und Perspektiven derjenigen, die darin nicht Fuß fassen konnten angepasst und umgebaut werden. Dafür müssen aber genau diese Stimmen gehört werden und Einfluss haben können.
    Anders formuliert könnte man auch sagen: Wenn nur diejenigen, die innerhalb des Bildungssystems Erfolg hatten, an den Entscheidungspositionen sitzen, dann besteht keinerlei Motivation, etwas zu verändern, denn der eigene Erfolg im System begründet die bedeutende Position. Es ist ein sich selbst verstärkendes System, das keine systemimmanente Motivation zur Veränderung in sich trägt. 
  • Ein weiterer Punkt, der damit in Zusammenhang steht, ist die Tatsache, dass das System selbst auf seinen eigenen Erhalt ausgelegt ist. Es gibt keine dem System eigenen Ressourcen, deren genuine Aufgabe es ist, das Bildungssystem umzubauen und weiterzuentwickeln. Alle Stellen erfüllen die Aufgabe, das System zu stützen und zu erhalten. Jeder große Umbau und jedes grundsätzliche Infragestellen  (und darum geht es hier) ist im System selbst nicht vorgesehen – allenfalls kleinste Veränderungen und Anpassungen können so realisiert werden. Wenn ich all meine beruflichen Ressourcen aber auf den Erhalt eines Systems – egal wie dieses läuft – konzentrieren muss, wie lässt sich dann der enorme Aufwand eines massiven Umbaus realisieren? Im Grunde bräuchte es Gremien und Gruppen, die völlig losgelöst vom Tagesgeschäft Utopien entwickeln können, welche die Wahlperioden überdauernd umgesetzt werden müssen.
  • Schulen, die gänzlich andere Wege gehen, machen dies meist aufgrund dieses Umstands nicht wegen des Schulsystems (denn in diesem ist keine grundsätzliche Systemänderung angestrebt), sondern trotz dieses Systems. Sicherlich gibt es einzelne Schulen, die grundsätzlich andere Wege einschlagen. Man findet sie im u.a. Privatschulbereich – hier gelten aber andere Regeln. Man findet sie aber auch im Bereich staatlicher Schulen. Häufig genug allerdings wurden diese Konzepte – die mit grundsätzlichen Konventionen brechen – aber nicht im bestehenden System entwickelt, sondern entfalten sich trotz dieses Systems aufgrund des Engagements von Lehrkräften (und häufig genug auch, weil Schulleitungen bestehende Regelungen ignorieren). Die Frage ist allerdings, warum solche Systeme nicht übertragen werden? Wenn ein alternatives Konzept erfolgreicher ist als bestehende schulische Konzepte, was durch Vergleichstests oder Schulpreise angezeigt sein könnte – warum werden diese nicht auf alle Schulen übertragen? Wenn andere Länder erfolgreiche Reformschritte eingeleitet haben, warum werden diese nicht übernommen, angepasst und eine systematische Veränderung eingeleitet?
  • Vielleicht hat dies auch damit zu tun, dass unser Bildungssystem nicht als Einheit gedacht wird. Alle Bundesländer haben (aus gutem historischen Grund) ein eigenes und vollkommen eigenständiges Bildungssystem. Einheitlichkeit herzustellen würde bedeuten, sich auf ein System einigen und Kompetenzen aufgeben zu müssen – beides scheint nicht realisierbar zu sein. Hierdurch ergeben sich aber zahlreiche Probleme, die von der Personalverwaltung bis zu einheitlichen Standards und der Vergleichbarkeit von Abschlüssen reicht, deren einheitliche Namen dies zwar suggerieren aber in der Praxis nicht einlösen können. Vom Kindergarten bist zum abgeschlossenen Studium bzw. der Ausbildung braucht es einheitliche Vorstellungen davon, welche Kompetenzen und inhaltliche Kenntnisse junge Menschen im 21. Jahrhundert tatsächlich benötigen und wie diese zu erlangen sind. 
  • Im Grunde bräuchte es einen Thinktank aus Praktikern und Theoretikern, aus Gewinnern des bestehenden Systems und denjenigen, die in ihm gescheitert sind, aus nationalen Vordenkern und internationalen Experten, um eine Vision davon zu entwickeln, wie Schule in der nächsten Generation mit den Herausforderungen unserer Zeit und den zur Verfügung stehenden Mitteln aussehen soll und wie die Transformation aus dem bestehenden System gestaltet werden kann. Diese Mammutaufgabe kann niemand neben einer bestehenden Tätigkeit im aktuellen System leisten. Dafür braucht es aber zuerst die Einsicht, dass ein solch fundamentaler Umbau nötig ist und dass kleinere Veränderungen am Bestehenden nicht ausreichen werden.

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