In den letzten Jahren habe ich einige Ideen für eine Schulentwicklung gesammelt und für mich strukturiert, die ich hier zur Diskussion stellen möchte. Zahlreiche Ideen, die eingeflossen sind, wurden schon an anderer Stelle formuliert und sind hier eingeflossen.
Folgende Prinzipien leiten diese Gedanken:
– Individuelle Förderung muss in die Schulstruktur integriert werden. Die Förderung jeder Einzelnen und jedes Einzelnen darf nicht trotz sondern sie muss aufgrund schulischer Strukturen stattfinden.
– Der Schulweg wird angepasst an das individuelle Lerntempo und in höheren Stufen auch an individuelle Bildungsziele.
– Das Wiederholen ganzer Lernjahre entfällt. Stattdessen werden einzelne Lerninhalte oder Methode wiederholt, wenn das Lernziel nicht erreicht wird.
– Lerninhalte und Methoden werden in Modulen vermittelt.
– Durch ein modularisiertes Schulsystem können Vorteile analogen und digitalen Unterrichts genutzt und Personalressourcen angemessen verteilt werden.
– In einem großen Maßstab gedacht könnten Studiengänge und Ausbildungswege gezielt Module abfragen anstatt Durchschnittsnoten traditioneller Abschlüsse als Grundlage anzusehen.
Jedes Fach folgt einem Lehrplan, der zu erlernende Methoden und Inhalte strukturiert und ordnet. Dabei bildet Halbjahre ein Ordnungsmuster. Innerhalb eines Halbjahres müssen bestimmte Inhalte vermittelt werden. Halbjahre sind abgeschlossene Einheiten. Man kann sie daher auch als Module betrachten. Jedes Schuljahr besteht – so betrachtet – aus zwei Modulen pro Fach.
Eine andere Betrachtungsweise schließt sich der Sicht auf Unterrichtsreihen an. In zahlreichen Fächer werden pro Halbjahr zwei Reihen thematisiert. So könnten ebenfalls Module definiert werden. Organisatorisch ist ein Halbjahr allerdings (wahrscheinlich) diejenige Einheit, die einfacher zu planen und zu überblicken sein wird.
Ist ein Schulweg in Modulen organisiert, ergibt sich ein neuer Blick auf individuelle Lernpfade.
Zunächst kann definiert werden, was Schülerinnen und Schüler leisten müssen, um ein Modul zu bestehen und in der Folge weitere Module belegen zu können. Nicht bestandene Module können wiederholt werden. Je nach individuellen Stärken und Schwächen können durch die Zusammenstellung passender Module ganz eigene Pläne und Wege entstehen, die zu einem Abschluss führen, der sehr breit oder sehr spezialisiert sein kann.
Dass die Wiederholung ganzer Schuljahre ineffizient ist, ist in der Forschung schon länger bekannt. Dem wird auch in einzelnen Schulformen (wie der IGS in Rheinland-Pfalz) Rechnung getragen.
Im Falle einer Wiederholung ist es auch kaum der Fall, dass eine Schülerin oder ein Schüler im gesamten vergangenen Schuljahr nichts gelernt hat. Häufig sind es einzelne Fächer, Inhalte und Methoden, deren Ziele verfehlt wurden. Andere Fächer bereiten den selben Schülerinnen und Schülern vielleicht weniger oder keine Probleme.
Das gesamte Schuljahr und alle Fä#cher wiederholen zu müssen erscheint (neutral betrachtet) nicht nur seltsam sondern ist auch ineffektiv. In einem Modular organisierten System können lediglich diejenigen Module wiederholt werden, die nicht bestanden wurden. In anderen Modulen, deren Ziele noch nicht erreicht wurden, können dieselben Schülerinnen und Schüler weiter vorangehen. Somit geht auch das Stigma des Wiederholen eines Schuljahres verloren. Es ergeben sich individuelle Wege durch ein Angebot an Modulen.
Aufgrund von Modularen Wiederholungen werden sich zwangsläufig Pläne entzerren.. Mit anderen Worten: SchülerInnen, die einzelne Module wiederholen müssen oder wollen haben weniger volle Stundenpläne – und das ist genau richtig so. Sie können die frei werdenden Zeitressourcen nutzen, um allein oder in angeleiteten Kursen Lücken zu schließen und aufzuholen, ihren Interessen nachzugehen und Bildung als einen Prozess selbstwirksamer Persönlichkeitsentwicklungzu erfahren.
Dass hierdurch die Schulzeit individualisiert und auch die Zeitspanne ganz unterschiedlich gestaltet wird ist eine Folge und eine Absicht dieser Ideen: Es darf nicht länger das Ziel sein, Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs gemeinsam mit Inhalten zu konfrontieren und zu schauen, wie lang sind das vorgegebene Tempo mitgehen können. In einer Wissensgesellschaft müssen wir Ziele setzen können, die alle Schülerinnen und Schüler erreichen sollten. Wie lang sie dafür brauchen, kann und muss erst die zweite Frage sein.
Auch für Lehrende ergeben sich Chancen, Prozesse neu zu denken. Die aktuell geführte Debatte zu Notenpflicht lässt sich in die Bewertung von Modulen integrieren. Diese könnten lediglich mit „bestanden“ oder „nicht bestanden“ bewertet werden und eine weitere Bewertungsoption ergänzend erhalten. Auch die Frage der Leistungsfeststelung ist im Modularen System sehr offen und auf Inhalte und Methoden anpassbar.
Lehrwege können aber auch in anderer Hinsicht angepasst werden. So lässt sich methodisch eine große Bandbreite realisieren, aber auch schulorganisatorisch. Vielleicht ist es möglich, einige Module in einem Vorlesungsstil mit anschließender Prüfung zu absolvieren, andere Finden in einer Art Seminar mit Versuchen, enger Betreuung, Trainings- und Übungszeiten etc. statt. Wieder andere Module können vielleicht rein digital absolviert werden. Auch die Zusammenarbeit von Schulen in räumlicher Nähe oder in Schulzentren könnte spannend sein.
Vielleicht macht es die Modulare Organisationsform auch einfacher Studenten, Hilfskräfte oder Experten in der Schule einzusetzen oder die Zusammenarbeit von Schulen zu fördern – etwa wenn „exotische“ Module von einer Lehrkraft für zwei Schulen angeboten werden.
Gerade in Zeiten des Lehrermangels könnten hier spannende Ressourcen frei werden.
Verbindung zu Bildungswegen nach der Schulzeit:
Ein modularisiertes Schulsystem gibt uns die Chance darüber zu debattieren, was genau im 21. Jahrhundert Bildung leisten soll und was unter „Allgemeinbildung“ zu verstehen ist.
Welche Methoden und welche Inhalte müssen alle Schülerinnen und Schüler kennen, die die Schule verlassen?
Wenn wir einen solchen Mindestanspruch an Bildung definiert haben, müssen wir dafür sorgen, dass alle SchülerInnen diesen erreichen. Anstatt dafür zu sorgen, dass eine Mindestzeit absolviert wird, die zu viele funktionale Analphabeten und Schulabbbrecher hervorbringt, müssen wir sicherstellen, dass alle Kinder ein Mindestniveau erreichen, unabhängig davon, wie lang dies dauert.
Welche Bildungsvoraussetzungen braucht es?
Die Organisation eines Bildungswesens in Modulen bietet die Chance zu definieren, welche Voraussetzungen eine Ausbildung oder ein Studium tatsächlich benötigt. Dabei sind verschiedene Formen denkbar. Zunächst könnten Studiengänge und Ausbildungsberufe klären, welche Module Schülerinnen und Schüler besucht haben müssen, um eine Ausbildung und ein Studium beginnen zu können. Dies stellt einerseits eine Abkehr vom NC dar, der dann durch eine viel gezieltere Auswahl an zum weiteren Bildungsweg passenden Inhalten und Methoden ersetzt werden könnte. Dabei ließe sich noch abwägen und diskutieren, ob eine Unterscheidung in „bestanden“ und „nicht bestanden“ oder eine (wie auch immer dargestellte) Notenskala nötig ist, um geeignete BewerberInnen einordnen zu können.
Spitzenförderung:
Ein modularisiertes System kann echte Spitzenförderung an allen Schulen ermöglichen. Zum einen können Schülerinnen und Schüler einfacher für Sport, Musik o.ä. freigestellt werden, wenn bestimmte Module oder Prüfungen digital absolviert werden können. So könnte etwa jedes Land oder der Bund digitale Angebote für Module einrichten. Spitzensportler, -musiker etc., die für Auftritte, Wettkämpfe etc. vielfach unterwegs sind, können diese Angebote wahrnehmen, während sie unterwegs sind. Auch eine Verlängerung der Schulzeit und eine Reduzierung der Module ist ohne Probleme möglich.
Schülerinnen und Schüler, die ein großes Talent in Sprachen, Naturwissenschaften, in technischen Berufen etc. aufweisen, können in einem modularisierten System schon während ihrer Schulzeit erste Schritte im nächsten Bildungsgang absolvieren. Während also einzelne Module in der Schule absolviert werden, können besondere Talente (und hier werden schulische Module zur Gänze sicher schon vor dem Abschluss anderer Module erreicht) erste Ausbildung- oder Universitäre Module absolvieren, während sie andere Module noch an der Schule besuchen.
Was muss Schule leisten?
Schule im 21. Jahrhundert muss aus meiner Sicht (neben vielen anderen wichtigen Zielen) zwei Dinge leisten: Spaß am Lernen und die Fähigkeit zu lernen.
Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Kinder und Jugendliche müssen einen Spaß am Lernen entwickeln, der sie durch ihr gesamtes Leben tragen kann. Es wird eine konstante in ansonsten immer unstetigen Berufs- und Sozialbiografien sein, dass wir alle immer weiter lernen müssen. Nichts könnte in einer Wissensgesellschaft fataler sein als ein Schulsystem, das den Kindern und Jugendlichen die Lust am Lernen austreibt. Um eine lebenslange Lust am Lernen entwickeln zu können brauchen wir alle die Fähigkeit zu lernen. Beides – die Lust und die Fähigkeit – werden an bestimmten Gegenständen trainiert und geübt, die in der Regel aber austauschbar sind, da sie exemplarisch funktionieren.
Ein modulares Bildungssystem kann beidem Rechnung tragen. Exemplarisch können sowohl Inhalte als auch Methoden geübt und vertieft werden. Auch können Schülerinnen und Schüler viel stärkere Selbstwirksamkeitserfahrungen machen, indem sie über das Tempo und die Inhalte ihres Bildungswegs aktiv mitentscheiden.