Organspende im Ethikunterricht

Aktuelle Themen im Ethikunterricht aufgreifen zu können ist ungemein gewinnbringend, da die Schülerinnen und Schüler erleben können, dass hier nicht tote Philosophen und Themen um ihrer selbst willen besprochen werden, sondern dass Themen, die sie berühren und angehen aufgegriffen und kritisch beleuchtet werden. 

Bei der aktuellen Debatte um die Organspende handelt es sich um ein solches Thema. Ein Beispiel der Medizin- und Bioethik wird als Gesetzesvorschlag diskutiert und hätte weitreichende Konsequenzen für das Leben der Schülerinnen und Schüler. Ein Thema also, das früher oder später aufgegriffen werden sollte und mit Verweis auf die nun zu führende Debatte angegangen werden kann.

In der Diskussion zeigen sich momentan verschiedene Diskussionen, die sich auch in einer Stunde oder Reihe problematisieren lassen:

Auf der einen Seite sprechen sich allen Statistiken zufolge eine Mehrheit der Deutschen für die Organspende aus, während de facto nur ein verschwindend geringer Teil der Menschen tatsächlich Organe spendet. Auf der anderen Seite bahnt sich ein Paradigmenwechsel an, der zum Dammbruch werden könnte. Hier sollen kurz beide Positionen skizziert werden, um das Potential des Themas für den Ethikunterricht aufzuzeigen, ohne jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen.

Was spricht für eine Neuregelung der Organspende?

In Umfragen spricht sich eine Mehrheit der Deutschen (bis zu 75% laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation) positiv zum Thema Organspende aus. Allerdings ging die Zahl tatsächlicher Spenden in den vergangenen Jahren sukzessive zurück und verzeichnete 2017 mit nur 797 Spendern (organspende-info.de) einen neuen Tiefstand. Vor diesem Hintergrund scheint es naheliegend, die Grundregeln der Organspende umzukehren. Anstatt explizit zustimmen zu müssen, wird jeder Mensch zum potentiellen Spender erklärt, es sei denn er bzw. sie widerspricht einer Spende ausdrücklich. Die Hoffnung hinter dieser Umkehr besteht darin, dass viele Menschen, die entweder aus Trägheit oder Desinteresse einfach versäumen einen Ausweis auszufüllen oder die ihre eigene Sterblichkeit nicht thematisieren möchten und die Konfrontation mit dem Thema meiden, zu Spendern werden. 

Das Argument gegenseitiger Hilfe.

Ergänzend zur Umkehr des Zustimmungsprinzips wird häufig ein Argument genannt, das als Argument gegenseitiger Hilfe bezeichnet werden kann. Demzufolge steht nur demjenigen Hilfe zu, der auch selbst bereit ist, Hilfe zu gewähren. Mit welchem Recht – könnte man in diesem Sinne fragen – steht jemandem, der selbst keine Organe spenden möchte zu, im Notfall selbst Spenderorgane erhalten zu können? Dieser Ansatz unterstützt eine Umkehr von der Zustimmungspflicht zur Widerspruchspflicht.

Was spricht gegen diesen Paradigmenwechsel?

Gegen diesen Paradigmenwechsel zu sprechen ist deswegen schwierig, weil die Absicht dahinter nicht nur nachvollziehbar, sondern für alle wünschenswert und im Falle des Arguments gegenseitiger Hilfe auch moralisch nachvollziehbar erscheint. 

Dennoch gibt es Gründe skeptisch zu sein. 

In zentralen Bereichen des Lebens unterstellen wir nicht, dass jemand der sich nicht äußert zustimmt. Wir nehmen an, dass man explizit zustimmen muss. Wer nicht zustimmt lehnt de facto ab.

Beispiel 1: Datenschutz. Sie müssen jeder Übermittlung und Verarbeitung ihrer Daten im Netz explizit zustimmen, ansonsten dürfen diese nicht verarbeitet werden. 

Beispiel 2: Gesundheitsdaten. Sind sie Raucher, übergewichtig oder sportlich. Keine Krankenkasse darf diese Daten verarbeiten, wenn sie dies nicht möchten, auch wenn sie der Krankenkasse helfen könnten, das Gesundheitssystem insgesamt zu verbessern.

Was in anderen Bereichen des Lebens (zum Beispiel für sensible Daten) gilt, sollte auch für die körperliche Unversehrtheit gelten. 

Dammbruch

Hier droht ein Dammbruch, der immer dann vorliegt, wenn eine ansonsten stringente und klare Regelung an einer Stelle aufgeweicht wird. In diesem Fall besteht keine prinzipielle Klarheit mehr und weitere Ausnahmen folgen, bis die ursprüngliche Regelung schließlich nicht mehr erkennbar ist. In diesem Fall betrifft dies das Prinzip der Zustimmung. Sollte dieser Grundsatz für die Organspende gekippt werden, um ein erstrebenswertes Ziel zu erreichen, warum dann nicht auch für andere erstrebenswerte Ziele. Es  könnte sich für Regierungen und Krankenkassen beispielsweise als sinnvoll darstellen alle Daten ihrer Lebensgewohnheiten auszuwerten oder Bewegungsprofile anzulegen, etc. Ihr Einverständnis könnte in kritischen Fragen mit Verweis auf das höhere Ziel unterstellt werden. Wenn dies für eine Organspende gilt, warum dann nicht in anderen Bereichen?

Zum Argument gegenseitiger Hilfe:

Stellen sie sich vor ein Patient wird nach einem Unfall in die Notaufnahme eingeliefert. Eine Organspende würde das Leben des Patienten retten, passende Organe stünden zur Verfügung, aber es stellt sich heraus, dass der Patient aus bestimmten Gründen (z.B. Religion) selbst nicht bereit war Organe zu spenden. Wollen wir von dem Arzt verlangen den Patienten sterben zu lassen, obwohl eine Rettung möglich wäre? Zunächst sollte das Prinzip der Rettung gelten. Wer in Not ist wird gerettet – erst danach werden weitere Fragen diskutiert.

Und nun?

Eine Möglichkeit die Organspenden zu erhöhen ohne einen Paradigmenwechsel einleiten zu müssen sollte darin bestehen, die freiwillige Spendenbereitschaft zu erhöhen. Dies kann dadurch gelingen, dass das Vertrauen in das Spendersystem erhöht wird. Darüber hinaus ist es wichtig, die intrinsische Motivation für eine Spende zu bestärken. Im Sinne Kants kann es dabei nicht darum gehen, externe Belohnungssysteme zu aktivieren (du bekommst nur ein Organ, wenn du selbst eines spenden würdest), um moralisch richtige Entscheidungen zu treffen. 

Gut ist Kant zu Folge allein der gute Wille. Dementsprechend müssen Erziehung, Bildung und Aufklärung dazu beitragen, den Menschen klar zu machen, dass die eigene Bereitschaft zur freiwilligen Organspende nach dem Tod eine Maxime sein kann an der es sich zu orientieren lohnt, ohne dass diese ein allgemeines Gesetz werden müsste obwohl sie es durchaus werden könnte.

Im Ethikunterricht kann gerade dieser Wechsel aus ethischen Theorien und praktischen Konsequenzen besonders fruchtbar sein, wenn unterschiedliche Positionen (bspw. Kant, Aristoteles, Utilitarismus, Schweitzer, etc.) in ihren Kosequenzen zu dieser speziellen Problematik untersucht werden. 


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