Ferienlektüre 2: J. Robert Oppenheimer

Robert Oppenheimer

Das zweite Buch auf meiner Urlaubsliste ist gelesen – dem spannenden Buch und dem furchtbaren Wetter sei Dank, viel schneller als ich das eigentlich gedacht hatte.

Die Biografie von Kai Bird und Martin J. Sherwin erzählt auf knapp 600 Seiten das bewegende Leben eines der berühmtesten Wissenschaftler unserer Zeit. Zum Lesen motiviert hatte mich der Film, den ich in den nächsten Wochen noch im Kino sehen möchte, aber der Name Oppenheimer und einige Aspekte seines Lebens waren mir bereits zuvor ein Begriff. Schließlich kommt man weder in der Geschichte noch in der Ethik der neueren Zeit an diesem Thema und dieser Person vorbei. Umso spannender war es in einer so ausführlichen Darstellung zu erfahren, was ich alles noch nicht wusste und welche Aspekte das Leben und Wirken Oppenheimers bereithalten. Dabei wird schnell klar, weshalb seine Biografie noch heute so spannend und aktuell ist.

Anstatt nachzuerzählen, was jeder Interessierte besser selbst lesen kann, möchte ich hier einige Aspekte anschneiden, welche die Biografie für mich besonders spannend gemacht haben:

Das „Wunderkind“:

Die ersten Jahre seines Lebens bilden (nach einer Betrachtung seiner Familie) den Beginn des Buches und in diesem Abschnitt ging mir der Begriff des Wunderkinds durch den Kopf. Sogenannte Wunderkinder faszinieren uns schon immer. Sei es ein Mozart in der Musik oder ein anderes Talent im sprachlich, sportlich, musischen Bereich. Oppenheimer war ein begabtes, gefördertes und in vielen Bereiche talentiertes Kind mit einem eigenwilligen Charakter, der sein ganzes Leben lang vorscheinen sollte.

Seine Zeit:

Wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich lebte Oppenheimer in einer spannenden Zeit, die uns gleichzeitig noch sehr nah und doch schon ein Stück weit weg ist. Wir haben genug Distanz zu ihr, um historische und moralische Urteile fällen zu können. Wir sind aber auch in einer genügenden zeitlichen Nähe, sodass wir uns mit den Problemen und Chancen identifizieren können.

Eine neue Form der Physik entstand, mit der Oppenheimer menschlich und wissenschaftlich groß wurde und der er zum Wachstum verhalf. Der zweite Weltkrieg sowie der Kalte Krieg bilden das gesellschaftliche und historische Fundament auf dem wir heute noch stehen.

Es sind viele Themen, die uns unmittelbar berühren und daher spannend und faszinierend in ihrem Entstehungsprozess zu erfahren sind.

Seine Zeitgenossen:

Oppenheimer war über seine beruflichen, privaten, militärischen, politischen und gesellschaftlich-kulturellen Kontakte unglaublich gut vernetzt. Die Biografie liest sich auch wie ein who in who seiner Zeit und stellt dadurch ein breites und faszinierendes Panorama dar.

Es wirklich unglaublich, wie viele Menschen Oppenheimer nicht nur flüchtig oder in einem rein beruflichen Kontext kannte. Zu vielen unterhielt er zumindest phasenweise auch private Beziehungen und – für die Zeit typisch – pflegte er natürlich auch viele Briefwechsel bzw. -freundschaften.

Das Manhattan-Projekt:

In allem was man über Oppenheimer schon einmal gehört hat, ist das Manhattan Projekt sicher das Kernstück. Daher soll es hier natürlich auftauchen. Hier kulminieren auch einige andere Punkte dieser Liste: seine Zeit (das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Beginn des Kalten Krieges), das wissenschaftlich-technische Potential, das in Los Alamos entwickelt wurde sowie unzählige Forschungsgrößen dieser Zeit.

Mit der Entwicklung, Testung sowie dem Einsatz der Atombombe geht insbesondere das moralische Dilemma Oppenheimers einher.

Das moralische Dilemma:

Oppenheimer leitete das Projekt, welches hunderte bzw. Tausende Wissenschaftler und Mitarbeiter in Los Alamos verband und zum Ziel hatte eine Atombombe zu entwickeln, die mit einem Flugzeug transportiert und verlässlich gezündet werden konnte. Alle Beteiligten begannen die Entwicklung und Erforschung in dem Glauben, dass die Deutschen im Zweiten Weltkrieg ebenfalls an dieser Waffe arbeiteten und möglicherweise einen Vorsprung hatten. Zum Zeitpunkt als die Waffe einsatzbereit war, war Deutschland bereits besiegt und ein Einsatz gegen Japan wurde erwogen.

Intensiv besprachen die Wissenschaftler, wie mir ihrer Entwicklung umzugehen sei. Oppenheimer selbst bedauerte auch später die Entwicklung nicht – wohl aber die Entscheidungen zum Einsatz in Japan und die spätere Aufrüstung.

Es ist spannend zu sehen, mit welcher Klarheit Oppenheimer das Wettrüsten im Kalten Krieg prognostizierte und wie er um eine offene Welt des wissenschaftlichen Austauschs warb, um dieses Szenario zu verhindern. Letztlich bildet sein Leben und seine Arbeit eine beispielhafte Blaupause für die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft.

David gegen Goliath:

Oppenheimer geriet aufgrund seiner Nähe zu Ideen des Kommunismus und Personen, die diesem nahestanden, später in eine Art „Hexenprozess“, der sich vordergründig um die Frage drehte, ob der „Vater der Atombombe“ weiterhin die höchste Sicherheitsfreigabe erhalten sollte. Persönliche Feindschaften, eine Farce anstelle eines Verfahrens, Betrug und Gesetzesbrüche sowie Intrigen sorgten dafür, dass Oppenheimer sie nicht erhielt. Dieser Aspekt seines Leben kostete ihn viel und spiegelt das Narrativ eines David gegen Goliath. Oppenheimer war ein prominentes Opfer der Jagd auf Kommunisten und steht auch damit stellvertretend für eine Ära der amerikanischen Geschichte.

Bezüge zu unserer Gegenwart:

Es gibt zahlreiche Bezüge zu unserer Zeit, die erklären, warum dieser Stoff so faszinierend wirkt und auch wieder verfilmt wird. Sei es der wieder aufflammende Konflikt zwischen Ost und West, der in Teilen an den Kalten Krieg erinnert. Seien es die wissenschaftlichen Errungenschaften wie Künstliche Intelligenz oder Gen- und Bioforschungen, die ein enormes Potential aber auch große Gefahren aufweisen und damit das Dilemma der Forschung in ein neues Zeitalter heben.

Auch die Frage, in welcher Form von Gesellschaft wir leben wollen beschäftigte Oppenheimer und ist bis heute nicht abschließend geklärt. Ein geschlossenes Weltbild, das auf Abschottung und dem Ziel absoluter Sicherheit setzt, steht dabei einer offenen Gesellschaft, welche Austausch und Vielfalt zulässt und sich keiner Illusion einer absoluten Sicherheit hingibt, diametral gegenüber – damals (und so scheint es) auch heute.


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