Digitalisierung und Mittelalter

Das Mittelalter war eine Zeit, in der weite Teile der Bevölkerung nicht alphabetisiert waren. Sie profitierten nur indirekt von den Möglichkeiten schriftlicher Aufzeichnungen, die nur von Experten gelesen und angefertigt werden konnten. Zum Teil konnten selbst Fürsten und Könige weder lesen noch schreiben, was selbst die Mächtigsten abhängig machte und speziell Klöstern und Mönchen eine besondere Form von Einfluss verlieh.

Erst die Medienrevolution des Buchdrucks, die langfristigen Folgen der Aufklärung sowie die Reformation erzeugten Effekte, die dafür sorgten, dass die Alphabetisierungsrate langfristig und nachhaltig ansteigen konnte.

Die Bedeutung zeitgemäßer Bildung zeigt sich eventuell auch in diesem Rückblick: Die Menschen im Mittelalter waren mehrheitlich nicht in der Lage adäquat auf das modernste Medium ihrer Zeit zu reagieren, sondern waren auf Spezialisten angewiesen oder schlicht nicht in der Lage diese Medien zu nutzen.

Erst eine lange Übergangsphase inklusive einer völligen Umgestaltung des Bildungswesens führte dazu, dass das neue Leitmedium zu einer Selbstverständlichkeit wurde, welches einer immer größeren Zahl von Menschen zugänglich war.

Derartige Vergleiche, so naheliegend sie sind, haben natürlich ihre Grenzen. Sie können aber einen Perspektivwechsel oder eine Neubetrachtung ermöglichen. So unsicher Umbruchzeiten auch seien mögen, die Kritiken, welche die Leitmedienwechsel in der Vergangenheit begleiteten, zeichneten stets ein düsteres Bild des Niedergangs bisheriger kultureller Errungenschaften. Tatsächlich brachten die eingeleiteten Veränderungen radikale Neuerungen politischer, gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und moralischer Standpunkte mit sich. Gleichzeitig waren diese niemals prognostizierbar. Kritik und Angst gegenüber Veränderung können daher bis heute als Reaktionen auf diese Unsicherheit und den Willen zum Festhalten an Bewährtem gedeutet werden.

Betrachtet man die Digitalisierung als einen eben solchen Megatrend wie die Schrift und den Buchdruck, ist dies aber im Umkehrschluss kein Grund zur Untätigkeit. Veränderungen tragen und steuern sich nicht von selbst. Sie sind von Menschen gemacht. Daher ist es unsere Aufgabe als der Generation, die an der nächsten Schwelle steht, diejenigen Prozesse zu initiieren, von denen wir hoffen können, dass sie spätere Generationen dazu befähigen werden, sich in der digitalisierten Welt ebenso zurechtzufinden, wie heutige Generationen sich in der Welt gedruckter Bücher und durch diese verbreiteten Wissens zu orientieren.


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